Soé (12) kann plötzlich nicht mehr zur Schule
Härtefall Durch eine Krankenkassen-Entscheidung kann ein schwerbehindertes Mädchen nicht mehr zum Unterricht in Cottbus gehen. Die Familie aus Jethe ist verzweifelt.
Soé ist zwölf Jahre alt und möchte endlich wieder zur Schule gehen. Das war bis vor ein paar Monaten kein Problem. Denn bis April begleitete eine Pflegekraft das Mädchen (10), erst in der Kita, dann im Unterricht. Soé ist schwer körperlich und geistig behindert, leidet zudem an einer besonderen Form der Epilepsie. Ein lebensbedrohlicher Notfall könne jederzeit eintreten, sagt ihre Mutter Juliane Paulick (36).
Mit der Schule ist seit April Schluss, weil die Begleitung einer Krankenschwester von der Krankenkasse AOK nicht mehr bewilligt wird. Pflegegrad fünf und die hundertprozentige Schwerbehinderung ändern daran nichts.
Die Entscheidung hat Folgen. Soé fehlen ihre Freunde und die Schule, sagt ihre Mutter. Aber ohne professionelle Begleitung sei die Gesundheit des Mädchens gefährdet. Soés Schule, die Spree-Schule in Cottbus, ist zwar für Kinder mit besonderen Herausforderungen eingerichtet. Es gibt kleine Klassen und Sonderpädagogen, eine Gruppenhelferin. Aber das reicht nicht. Deshalb begleitet eine spezielle Pflegekraft das Kind 200 Stunden im Monat.
Folgen für die Familie
Das Mädchen hat eine Reihe von gesundheitlichen Besonderheiten. Auf die Medikamente, die Epileptiker bekommen, reagiert ihr Körper nicht, sie bekommt eine spezielle Diät. „Die Zusammensetzung ist bis aufs Gramm berechnet. Das geben wir ihr mit in die Schule“, erklärt Juliane Paulick. Um einen Krampfanfall zu vermeiden, muss alles dokumentiert werden, auch wieviel Soé isst? Die Mutter erklärt: „Die Krankenschwester misst ein- bis sechsmal am Tag die Blutwerte des Kindes. Das Herz-Kreislauf-System muss überwacht werden. So kann ein Notfall verhindert werden.“
Zweimal im Jahr muss die Familie die Unterstützung der Pflegekraft neu beantragen, als außerklinische Intensivversorgung. Das lief jahrelang ohne Probleme. Im April brachte ein Schreiben der Krankenkasse die böse Überraschung. Darin hieß es, dass die AOK Nordost die Kosten dieser Versorgung für Soé nur noch bis zum 6. April übernimmt. Der Grund: Nach einem Gutachten vom März lägen die Voraussetzungen für eine außerklinische Intensivpflege nicht mehr vor.
Mutter Juliane hat sich eine Anwältin genommen und Widerspruch eingelegt. Bisher vergebens. Auf Anfrage der Rundschau sagt eine Sprecherin der AOK Nordost, dass der Kasse die schwierige Situation der Familie durchaus bewusst sei. Sie rät, einen Antrag beim zuständigen Sozialhilfeträger zu stellen. Die Sprecherin ergänzt, dass Versicherte unter ganz bestimmten Bedingungen einen Anspruch auf außerklinische Intensivpflege haben. Dem gehe eine Prüfung voraus.
Darum kann das Mädchen
Das Ergebnis der Prüfung des Medizinischen Dienstes für Soé besagt: In ihrem Fall kommt es mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht täglich unvorhersehbar zu lebensbedrohlichen Situationen, eine richtlinienkonforme Situation würde nicht dargelegt. Die Voraussetzungen für die außerklinische Intensivpflege seien nicht erfüllt.
Der Medizinische Dienst stellt auch fest, dass Soé eine schwerste Beeinträchtigung der Selbstständigkeit mit besonderen Anforderungen an die pflegerische Versorgung hat. Es sei trägerübergreifend zu klären, wie das kurzfristig erforderliche Hinzuziehen einer Pflegefachkraft sichergestellt werden kann – und wer für die Betreuungskosten des Kindes zuständig ist. Wer genau das wann und wo klärt, ist der Familie in Jethe (Landkreis Spree-Neiße) nicht bekannt.
Eine Notlösung folgt
Für die Eltern des Kindes war ein Schulbesuch von Soé unter diesen Umständen nicht mehr zu verantworten. „Ich hatte im März eine neue Arbeitsstelle angetreten. Da konnte ich nicht bereits im April länger ausfallen“, erklärt Soés Mutter. Die Eltern entschieden, ihre Tochter in einem Kinder- und Jugendhospiz betreuen zu lassen, in Beetzsee. Aber das ist 200 Kilometer entfernt von Jethe.
Die sechs Wochen im Hospiz stellten sich als Belastung heraus. Die Eltern fuhren jedes Wochenende hin, zerrissen sich unter der Woche, um sämtliche Verpflichtungen unter einen Hut zu kriegen. „Wir haben noch eine Tochter, die blieb auf der Strecke. Und Soé wurde immer trauriger. Sie dachte, sie darf nicht mehr nach Hause kommen und nicht mehr zur Schule.“
Im Juni holen die Eltern Soé zurück. Nun ist die Familie wieder beisammen. Aber das Mädchen vermisst weiterhin die Schule und ihre Freunde.
Eltern fehlt Perspektive
Für die Eltern ist der Zustand eine Herausforderung. Derzeit arbeitet der Vater ab morgens um sechs, ist ab 14 Uhr für Soé da. Mutter Juliane beginnt ihre Schicht um 14.30 Uhr, bis spät in die Nacht. Die Kraft schwindet langsam, sagt Juliane Paulick, und: „Wir sehen keine Perspektive.“
Die Familie weiß nicht: Wie geht es weiter im nächsten Schuljahr? Ihre letzte Hoffnung ist das Sozialamt in Forst. Dort hat sie einen Antrag auf eine Einzelfallhilfe mit medizinischer Fachkompetenz gestellt, und den täglichen erheblichen und kontinuierlichen Unterstützungsbedarf für ihre Tochter aufgelistet. Eine Antwort steht noch aus.