Rückkehr der DDR-Platte ausgebremst
Nachhaltigkeit Demontierte Betonfertigteile aus dem Wohnungsbau der 80er-Jahre sind technisch für Neubauten in Brandenburg wieder verwendbar – und klimaneutral. Doch die Bürokratie torpediert den Plan.
Vor 50 Jahren ist der Grundstein für ein völlig neues Wohngebiet in der Stadt Cottbus gelegt worden. Im Stadtteil Sachsendorf. Das war am 17. September 1975. Schon vier Monate später, im Januar 1976, sind die ersten 32 Wohnungen fertig und die glücklichen Mieter ziehen ein. Schneller ist seit dem Wohnungsbauprogramm der DDR auf deutschem Boden nie wieder gebaut worden. Das gilt auch für monotone Plattenbausiedlungen in Hoyerswerda, Schwedt, Frankfurt (Oder), Eisenhüttenstadt und Ostberlin. Aber ebenso für liebevoller gestaltete Wohnquartiere von Innenstädten wie in Cottbus, Rostock und Berlin.
Die Bauweise mit seriell hergestellten Großplatten, bis zur Steckdose genormt, ist nur eingeschränkt schön – aber höchst effektiv. Doch das groß angelegte Experimentierfeld für den industriellen Wohnungsbau mit Betonfertigteilen wird wieder begraben, als die Ost-Städte wegen abwandernder Einwohner gen Westen nach der Deutschen Wiedervereinigung schrumpfen und die Abrissbirne massiv zum Einsatz kommt.
Aber die Wohnungsnot ist zurück. Die durchschnittliche Dauer für den Neubau eines mehrgeschossigen Mietwohnhauses wird aktuell mit 1,5 bis drei Jahren angegeben. Von der Planung über den Roh- und Innenausbau bis zum Einzug. Das Statistische Bundesamt weist aus, dass sich die Bauzeit seit dem Jahr 2020 im Schnitt nochmals um satte sechs Monate verlängert hat – wegen Fachkräftemangels, gestiegener Materialkosten und Lieferengpässen. Die Planung und Genehmigung nimmt, je nach regionalen Vorschriften, allein eine Zeitspanne zwischen mehreren Monaten und mehr als einem Jahr in Anspruch.
Turbo nicht gezündet
Den Wohnungsbau-Turbo wegen des extrem nachgefragten und vor allem in Großstädten kaum noch erschwinglichen Wohnraumes hat die Politik noch immer nicht wirklich gezündet. Der Bund hat im Juni 2025 zwar das Bundesbaugesetz geändert, um mehr Tempo beim Bauen zu machen. Eine neue Sonderregelung (Paragraf 246e Baugesetzbuch) räumt Städten und Gemeinden nun vorerst bis zum Jahr 2030 ein, auf zeitaufwändige Bebauungspläne verzichten zu dürfen. Und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagt beim jüngsten Tag der Bauindustrie: „Wir müssen einfacher bauen.“ Aber was passiert praktisch?
Prof. Angelika Mettke forscht an der Brandenburgischen-Technischen Universität (BTU) Cottbus – Senftenberg daran, die monostrukturellen Quartiere der Plattenbauten in attraktive und bedarfsgerechte Siedlungen umzugestalten und die Betonfertigteile im Wohnungsneubau wieder einzusetzen. Klimaneutral.
Die alten Betonfertigteile können bautechnisch neu eingesetzt werden, das ist technisch bewiesen. „Die Wieder- und Weiterverwendung gebrauchter Betonbauteile spart bis zu 97 Prozent an CO2-Emissionen ein, die bei der Herstellung von neuen Betonelementen entstehen“, sagt Prof. Dr. Angelika Mettke.
Die Forschenden und Partner aus Finnland, Schweden und den Niederlanden arbeiten seit Jahren an innovativen Technologien und einer digitalen Datenbank für die Wiederverwendung von Beton aus Abrissbauten. Demontierte Betonelemente sollen für zukünftige Bauvorhaben so europaweit passgenau abrufbar werden. Und renommierte Unternehmen der Bauwirtschaft aus Deutschland sind dabei. Das Unternehmen Ecosoil Ost in Senftenberg hat die Expertise für Demontage und Remontage.
Das Hindernis ist ein hausgemachtes bürokratisches Problem: Der genehmigungsrechtliche Aufwand für die Neubauten aus alten Platten ist zu hoch. Das geben die Wissenschaftlerin und der Praxispartner den Landtagsabgeordneten der Sonderausschüsse für den Strukturwandel in der Lausitz und zum Bürokratieabbau in Brandenburg jetzt mit auf den Weg.
Die DDR-Betonfertigteile haben kein CE-Kennzeichen. Das ist erforderlich, um sie als Produkte im europäischen Binnenmarkt uneingeschränkt handeln zu dürfen. Der Hersteller, den es in dem Fall aber nicht mehr gibt, garantiert damit, dass das Produkt die geltenden EU-Vorschriften für Sicherheit, Gesundheits- und Umweltschutz erfüllt.
Die Bauteile, das hat das Bautechnische Prüfamt im Landesamt für Bauen und Verkehr in Cottbus für die tragenden und Konstruktionsbauteile bewiesen, sind top. Aber sie haben nur die Qualitätsbewertung der Technischen Kontrollorganisation (TKO) der DDR, die vor der Auslieferung aus dem Betonwerk auch zwingend erforderlich gewesen ist. Aktuelle Vorschriften und Normen für die sekundäre Verwendung dieser hochwertigen Betonfertigteile existieren damit nicht – weder auf EU- noch auf Bundes- und Landesebene.
Die Bauteile sind allgemein in Brandenburg nicht wieder verwendbar. In Sachsen-Anhalt indes schon. Das liegt an unterschiedlichen Landesbauverordnungen. Ecosoil Ost und die BTU scheitern im eigenen Bundesland an rechtlichen Unsicherheiten durch Bürokratie. Haftungs- und Gewährleistungsfragen aber müssen nicht zwingend in präventiven Vorschriften geregelt werden, die neue Ideen für die klimaneutrale Transformation der Bauwirtschaft hemmen. Der Landtagsabgeordnete Wolfgang Roick (SPD), der Vorsitzende des Sonderausschusses für Strukturentwicklung in der Lausitz, verspricht: „Wir nehmen den Fall mit und prüfen das jetzt.“
In Sachsen-Anhalt können die Bauteile dank Landesbauordnung wieder verwendet werden.